No Covid und wer hat, der gibt und wer nicht gibt, wird enteignet! ─ Sonntagssenf #20
In meinem kurzen, persönlichen, politischen Wochenrückblick möchte ich kurz auf die vielfältigen Aktionen und Kundgebungen an diesem Wochenende eingehen. Zumindest auf die, die ich mitbekommen habe. Danach folgt noch ein etwas längerer Teil zu den sozialen Verwerfungen der Krise.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg
Zuallererst: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Stadt Kiel war gestern tatsächlich willens, die Auflagen für die Demo der rechtsoffenen Verschwörungsgläubigen durchzusetzen. Der öffentliche Druck war zu groß geworden. Die Demo wurde wegen der Verstöße gegen die Hygieneauflagen aufgelöst und auch eine angekündigte Ersatzkundgebung auf dem Rathausplatz wurde unterbunden. Nach fast einem Jahr hat sich die Stadt nicht mehr auf der Nase rumtanzen lassen. Das kam zwar viel zu spät, aber immerhin besser als gar nicht. Auch wenn sich Linke nicht auf den Staat verlassen können, ist es doch positiv, wenn dieser auch mal der anderen Seite Grenzen aufzeigt.
Masken auf und Fäuste hoch!
Auch die Gegendemo mit hunderten Teilnehmern unter dem Motto „Masken auf und Fäuste hoch“ war ein voller Erfolg. Sie hat eindrucksvoll bewiesen, dass Protest auch derzeit auf der Straße verantwortlich und zugleich kämpferisch möglich ist. Viele Anwohner nahmen den Protestzug positiv auf und zeigten Zustimmung. Zugleich wurde die Forderung nach einer solidarischen Lösung der Krisen deutlich gemacht, die lautet: Wer hat der gibt und wer nicht gibt, wird enteignet!
Am Vorabend fand in Gaarden auf dem Vinetaplatz zudem eine Kundgebung im Anschluss an die Verteilung von Masken statt, auf der deutlich gemacht wurde, dass wir nur eine bessere Welt erreichen können, wenn wir das kapitalistische Konkurrenzsystem überwinden. Das herrschende Politikversagen wurde allein dadurch schon deutlich, wie begehrt die Masken waren, die umsonst abgegeben wurden. Die dort geleistete Stadtteilarbeit wäre eigentlich Aufgabe der Stadt Kiel.
Außerdem sprachen sich rund 100 Menschen am Freitagnachmittag für die Umsetzung einer No-Covid-Strategie aus. Es wurde deutlich gemacht, dass wir nur aus dem Jojo-Lockdown rauskommen und vor allem nicht unnötig Menschen gefährden, wenn wir einen Lockdown bekommen, der die Wirtschaft einschließt und durchgehalten wird, bis eine Inzidenz von 10 erreicht wurde.
Diese Aussage teile ich grundsätzlich, will aber noch ein paar Dinge zu den sozialen Verwerfungen schreiben, die die Krise noch einmal deutlich gemacht hat und die mir dort etwas zu kurz gekommen sind.
No-Covid und die soziale Dimension der Krise
Ich will jetzt nicht viel zum völligen Politikversagen in Bezug auf die technische Handhabung der Krise sagen, nichts zu abgesagten Runden der Ministerpräsidenten, nichts zum Impfchaos oder zu nicht mehr mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbaren immer neuen Regelungen, die nichts bringen.
Ich möchte auf die sozialen Verwerfungen in der Krise eingehen, weil ich glaube, dass ohne dessen Berücksichtigung No-Covid nicht umsetzbar sein wird. No-Covid ist nicht nur eine technische Frage, die von technischen Verordnungen des Staates abhängig ist.
Da sind auf der einen Seite die Menschen im Sozialleistungsbezug und andere Menschen mit geringem Einkommen. Diese Menschen wissen nicht, wo sie das Geld für Masken hernehmen sollen. Auch wissen sie oft nicht, wie sie das Mittagessen für ihre Kinder bezahlen sollen, das nun zu Hause auf den Tisch kommen muss.
Kinder, die umsonst in Bildungseinrichtungen versorgt wurden, müssen nun aus dem schmalen Geldbeutel mitversorgt werden.
In der Gastronomie erhalten die Besitzenden hohe Ausgleichszahlungen und die Angestellten werden mit 60% Kurzarbeitsgeld und ohne Trinkgeld nach Hause geschickt. Und die Beschäftigten im Einzelhandel und im Tourismus sind auch nicht viel besser dran, wenn sie darüber nachdenken müssen, wie sie mit 60% ihres Einkommens die Miete für ihre Wohnung bezahlen sollen. Auf der anderen Seite erhalten große Aktiengesellschaften wie die Lufthansa, große Tourismuskonzerne und die Konzerne in der Autoindustrie Milliardenschwere Ausgleichszahlungen, die sie gleich darauf an ihre Aktionär_innen weiterreichen und als Dividenden ausschütten. Es ist kein Zufall, dass die oberen 1% während des letzten Jahres noch schneller reicher geworden sind als ohnehin schon.
Das Mindeste, was zu tun wäre, um ein Mindestmaß an Solidarität und Gerechtigkeit zu schaffen, wäre ein Kurzarbeitsgeld von 90% und die sofortige Aufstockung der Sozialleistungen um 100 Euro im Monat. Gleichzeitig müssen Konzerne, die Dividenden ausschütten, von Coronahilfe ausgeschlossen werden. Außerdem müssen Vermögen zur Bewältigung der Krise herangezogen werden. Wir brauchen sofort eine Corona-Abgabe für Millionär_innen. Ich bin mir sicher, dass Familien wie die BMW Dynastie Quandt oder die VW-Dynastie Piech nicht hungern oder obdachlos werden. Für viele andere Menschen ist dies dagegen gerade eine reale Bedrohung.
Doch der Staat hilft einfach nicht. Menschen mit wenig Geld werden komplett alleine damit gelassen, wie sie diese Krise bewältigen sollen. Und dann ist es kein Wunder, wenn Menschen einen Monat lang mit der OP-Maske für 20 Cent herumlaufen, die keine Wirkung mehr erzielt oder sich weniger an Regeln halten, die ihnen von einem Staat vorgeschrieben werden, der sie alleine lässt. Die Akzeptanz von Regeln, die ein Staat verkündet, wird erst hoch sein, wenn Menschen den Eindruck haben, dass der Staat sie selbst akzeptiert. Umsonst Masken zu verteilen, wäre das Mindeste, was die Stadt Kiel als Sofortmaßnahme leisten müsste, um Menschen mit geringem Einkommen zu unterstützen. Auch Sammelunterkünfte für Obdachlose und Geflüchtete aufzulösen, wäre das Mindeste. Ansonsten wird No-Covid eine nicht erreichbare Utopie bleiben.
Leider befürchte ich, dass es sogar noch schlimmer kommen könnte, wenn die akute Bedrohung durch Corona verschwunden sein wird. Denn dann werden die Rufe nach Haushaltskürzungen kommen. Besonders Städte und Gemeinden werden davon betroffen sein. Beratungsstellen, Bibliotheken oder öffentliche Sportstätten und Freibäder werden dann nur noch Kostenfaktoren sein. Dabei sind sie oft die letzten Ankerpunkte, die Menschen das Leben ein wenig erträglicher gestalten. Politik kürzt meist zuerst bei denjenigen, die ohnehin schon zu erschöpft sind, um sich wehren zu können. Abwenden kann dies nur eine starke Bewegung, die mindestens Umverteilung fordert.
Besser sogar noch eine Gesellschaft fordert, die auf sozialer Gleichheit und auf Freiheit aufbaut. Einer Gesellschaft, die nicht auf Konkurrenz und Abschottung setzt, sondern eine Gesellschaft, die allen Menschen die gleichen Möglichkeiten und Rechte zugesteht. Eigentlich ganz einfach. In einer solchen Gesellschaft der Freien und Gleichen würden wir auch besser durch die nächste Krise kommen.
Kommt gut durch die Woche und vielleicht sehen wir uns ja z.B. auf der Fahrraddemo gegen den von der Schwarz-Grün-Gelben Landesregierung geplanten Abschiebeknast in Glückstadt am Samstag um 14 Uhr auf dem Vinetaplatz.