Eine Hand hält eine Debit-Karte.

Keine rassistischen Diskriminierungen durch die Bezahlkarte in Kiel

Die Ratsversammlung spricht sich nachdrücklich dafür aus, die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete abzulehnen, falls die Landesgesetzgebung dies zulässt.

Die Verwaltung wird aufgefordert, dies gegenüber der Landesregierung zu kommunizieren.

Sofern die Bezahlkarte für Kommunen verpflichtend eingeführt werden soll, fordert die Ratsversammlung die Landesregierung dringend auf, in allen weiteren Beratungen die folgenden Grundsätze zu berücksichtigen:

  1. Die Bezahlkarte soll ausschließlich an Menschen mit Sozialleistungsanspruch in Aufnahmeeinrichtungen ausgegeben werden, die über kein Bankkonto verfügen. Bei allen anderen Geflüchteten soll es bei der bisherigen Überweisung der Geldleistungen auf das Konto bleiben.
  2. Die Bezahlkarte soll das Format von Visacard/Mastercard haben, um eine Stigmatisierung zu verhindern und muss in allen Geschäften nutzbar sein.
  3. Überweisungen mindestens im Inland müssen möglich bleiben, ohne dass diese erst freigeschaltet werden müssen.
  4. Es soll keine Begrenzung für Bargeldabhebungen geben.
  5. Kindern soll ausreichend Bargeld zur Verfügung stehen. Dafür empfiehlt sich mindestens eine Orientierung an dem Betrag, der im AsylbLG für Kinder und Jugendliche festgelegt wurde.
  6. Alle volljährigen Mitglieder einer Bezugsgemeinschaft sollen eine eigene Bezahlkarte erhalten.
  7. Die Nutzung der Bezahlkarte soll nicht auf bestimmte Regionen oder Branchen beschränkt sein, da für Geflüchtete eine Flexibilität beim Konsum unabdingbar ist.
  8. Die Bezahlkarte soll bundesweit einsetzbar sein.
  9. Die Bezahlkarte soll dem Prinzip des Guthabenkontos folgen, um Verschuldung zu verhindern.
  10. Die Kommunen sollen keine Kosten tragen. Darunter fallen auch Kosten, die durch einen administrativen Mehraufwand entstehen.
  11. Parallel zur Bezahlkarte soll ein Monitoringtool etabliert werden, um zu überprüfen, ob:
    • a) der Verwaltungsaufwand gesenkt wird,
    • b) Integrationshürden für Geflüchtete entstehen,
    • c) durch das Bezahlkartensystem keine Mehrkosten entstehen,
    • d) der Zuzug Geflüchteter durch die Einführung der Bezahlkarte nachweislich verringert wird,
    • e) vermeintliche Rücküberweisungen verhindert werden,
    • f) das Existenzminimum von Geflüchteten gesichert ist.

Sollte der Monitoring Prozess zu dem Schluss kommen, dass die Kosten der Bezahlkarte den Nutzen überwiegen, soll die Bezahlkarte durch die Einführung eines Basiskontos für Geflüchtete ersetzt werden.

  1. Die Datenschutzerklärung, Gebrauchsanweisung sowie Beratung zur Bezahlkarte soll den Betroffenen in ihrer Muttersprache zur Verfügung stehen.
  2. Die Bezahlkarte soll keine Datenspeicherung und/ oder Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte ermöglichen.
  3. Eine Verknüpfung mit dem AZR ist zu vermeiden, um Detailänderungen oder erforderliche Genehmigungen als Sanktionsmechanismus auszuschließen.
  4. Sollte die Bezahlkarte verpflichtend, aber mit einem inhaltlichen Gestaltungsspielraum für Kommunen eingeführt werden, wird die Verwaltung beauftragt, die o. g. Punkte nach Möglichkeit umzusetzen.

Begründung

Die Bundesregierung hat im April 2024 die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete beschlossen. Die Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein stellte ihr Konzept zur Einführung der Bezahlkarte Mitte Oktober vor. Die Bezahlkarte stellt für die Betroffenen massive Integrationshürden auf, schließt sie zu Teilen aus dem öffentlichen Leben aus, sorgt für erheblichen administrativen Aufwand und könnte die Kommunen finanziell belasten.

Aktuelle Vorschläge sehen vor, dass Geflüchtete keine Überweisungen tätigen können oder einmalige Überweisungen beantragen müssen. Dies sorgt neben einem massiven administrativen Aufwand dazu, dass Handyverträge, Stromrechnungen, Mitgliedschaften im Sportverein und das Deutschlandticket nicht mehr bezahlt werden können. Auch ein Einkauf auf einem Online-Marktplatz, wo Geflüchtete günstig, teils gebrauchte Produkte erwerben können, wird ausgeschlossen, wenn keine Überweisungen möglich sind. Des Weiteren wird die Bezahlung eines Rechtsbeistands erschwert, was Geflüchtete vor massive Probleme stellt. Dadurch erleben Kommunen eine gewaltige Mehrbelastung, da ein hohes Aufkommen an Anträgen für Überweisungen oder einen erhöhten Bargeldbedarf die Folge sind.

Eine Bargeldbegrenzung schafft Integrationshürden, schränkt die Selbstbestimmung ein und demütigt Betroffene. Aktuell sind 50 € Bargeld pro erwachsene Person und 50 € Bargeld pro Kind vom Bund vorgesehen. Von diesem Bargeld müssen auch Einzahlungen in die Klassenkasse, Mensa-Essen, KiTa-Umlage oder andere Beiträge geleistet werden. Aufgrund dessen sollte der gesamte Betrag für Kinder in Barmitteln zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist die Bezahlung mit der Karte in der Schulmensa, auf Flohmärkten oder in Second-Hand-Kaufhäusern nicht oder kaum möglich. Somit ist es für Geflüchtete unmöglich günstige Produkte zu erwerben, was die Betroffenen vor erhebliche Probleme stellt. Des Weiteren urteilten das Sozialgericht in Nürnberg und Hamburg (S7 AY 410/24 ER vom 18.07.2024), dass eine pauschale Festlegung auf 50€ rechtswidrig ist und somit der individuelle Bargeldbedarf im Einzelfall abgewogen werden muss, was den administrativen Aufwand weiter in die Höhe treibt und, wie schon in Hamburg und Nürnberg, zu Klagen und weiteren Kosten führt. Auch das Bundesverfassungsgericht urteilte bereits 2012, dass Geflüchtete ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben. Die Beschränkung der Bargeldabhebung schließt Geflüchtete somit aus dem öffentlichen Leben aus, sorgt für Integrationshürden und kann einen massiven administrativen Aufwand und Kosten nach sich ziehen.

Andere Bundesländer haben örtliche Beschränkungen, entlang der Postleitzahlgebiete für die Bezahlkarte eingeführt. Für Menschen, die keiner Residenz- oder Wohnverpflichtung unterliegen, ist dies eine unzulässige Beschränkung. Zudem sorgt dies für teils absurde Hürden, indem beispielsweise nicht beim nächstgelegenen Supermarkt eingekauft werden kann, da er sich in einem anderen PLZ-Gebiet befindet und die Karte für den Besuch bei Rechtsanwält*innen, entsprechenden Fachärzt*innen oder Verwandten außerhalb des Geltungsbereichs erst durch die Sozialbehörde freigeschaltet werden muss. Die entsprechende Freischaltung sorgt erneut für einen großen bürokratischen Aufwand. Zuletzt soll eine Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern ermöglichen, dass die Bezahlung auch dort möglich ist, um Mehraufwand oder weitere Wege für die Betroffenen zu verhindern.

Vom Ausschluss bestimmter Waren und Leistungen soll abgesehen werden, um zum einen einer Stigmatisierung und zum anderen einer Erhöhung des ohnehin schon großen administrativen Aufwands vorzubeugen, da alle Optionen diese Waren oder Leistungen zu beziehen einzeln berücksichtigt und blockiert werden müssen. Außerdem soll den Betroffenen eigenverantwortliches Wirtschaften ermöglicht werden, was auch das Sozialrecht explizit vorsieht.

Der Nutzungszeitraum soll auf den Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung beschränkt werden. Somit darf sich auch das Eröffnen eines Kontos und der Besitz einer Bezahlkarte nicht ausschließen, da dies sonst eine Hürde zum Eintritt in den Arbeitsmarkt darstellt. Zudem soll so der administrative Aufwand minimiert werden. Falls die Einführung der Bezahlkarte über diese Zielgruppe hinaus gehen würde, könnte dies dazu führen, dass sie Lastschriften nicht mehr begleichen können. Dies führt zu Mahngebühren, administrativem Aufwand und im schlimmsten Fall dazu, dass die Betroffenen ihre Wohnung verlieren. Auch dies kann zu Klagen und weiteren Kosten führen.

Die Kosten, die mit der Bezahlkarte einhergehen belaufen sich in Berlin Schätzungen zufolge auf 5 bis 6 Millionen Euro. Die Auszahlung der Leistungen nach AsylbLG kosten das Land aktuell nur 366.000 Euro. Mit Einführung der Bezahlkarte würden die Kosten somit um ein Vielfaches steigen. Dem Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung zufolge belaufen sich die Kosten für das Land Schleswig-Holstein auf 1,8 Millionen Euro. Neben Kosten für die Umsetzung der Struktur und Laufgebühren der Karten, müssen Beratungsstellen und Dolmetscher*innen bereitgestellt und bezahlt werden. Auch wird hierfür deutlich mehr Personal in den Kommunen benötigt, um den erhöhten Aufwand zu bewältigen. Es ist anzunehmen, dass die Landesregierung den Mehraufwand an Personal in ihrer Rechnung nicht berücksichtigt hat. Es ist also davon auszugehen, dass die Bezahlkarte die Kommunen auch finanziell belasten wird. Somit läuft die Einführung der Bezahlkarte auch dem Landtagsbeschluss vom 21. Februar 2024 (Drucksache 20/1914) zuwider, welcher vorsieht, dass durch die Bezahlkarte „effektiv Bürokratie abgebaut wird“.

Zuletzt wird in der öffentlichen Debatte immer wieder argumentiert, dass dadurch Rücküberweisungen in Drittstaaten vermieden und sogenannte Pull-Faktoren minimiert würden. Wir merken an, dass der Bundesregierung keinerlei Zahlen vorliegen, ob Rücküberweisungen stattfinden. Es ist bei Leistungen von 460€ für alleinstehende Erwachsene ohnehin kaum möglich relevante Beträge abzuzweigen. Des Weiteren wird der Einfluss von Pull-Faktoren auf die Fluchtentscheidung in der Migrationsforschung als nicht-existent bis kaum relevant eingeschätzt.

Vorgang im Infosystem Kommunalpolitik:
Antrag der Ratsfraktion DIE LINKE / DIE PARTEI – 1324/2024

Status: In der Ratsversammlung am 21. November 2024 in geänderter Fassung beschlossen. ✔️